Der Zentaur by Algernon Blackwood

Der Zentaur by Algernon Blackwood

Autor:Algernon Blackwood [Blackwood, Algernon]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783865523426
Herausgeber: Festa Verlag
veröffentlicht: 2015-06-11T16:00:00+00:00


26

Wie Stahl ihm geraten hatte, ging O’Malley mitten auf der Straße. Unbewusst hätte er das wohl sowieso getan, denn er kannte sich mit solchen Städten ähnlich gut aus wie der Deutsche. Aber er ging ja nicht allein: Die ganze Erde begleitete ihn, sodass ihm keinerlei persönliche Gefahr drohte. Mochten ihn auch ein Dutzend Raufbolde angreifen, keiner würde ihm »das Leben nehmen« können.

Wie einfach das alles schien, und doch wie ganz und gar unmöglich, es Menschen, die so etwas nie empfunden hatten, verständlich zu beschreiben ... diese plötzliche Flut von Wahrnehmungen des erweiterten Bewusstseins, die die »normale Identität« als einen winzigen konzentrierten Punkt erscheinen ließ.

Der Persönlichkeitsverlust, vor dem er sich anfangs als »innerer Katastrophe« gefürchtet hatte, erschien ihm jetzt als das, was er tatsächlich war: lediglich das Verlöschen irgendeiner trügerischen Vorstellung vom Ich zugunsten des einzig wahren Lebens. Hier, am Rande dieser wunderreichen Region Kaukasiens, manifestierte sich der Geist der Erde immer noch wie früher, streckte liebevoll seine Hände nach jenen ihrer Kinder aus, die schlicht genug strukturiert waren, um zu reagieren – bereit, die Erde in sich aufzunehmen und sich von dem quälenden Fieber der Gegenwart kurieren zu lassen, das sie sonst unweigerlich vernichtet hätte.

Der ganze Himmel mit seinem sanften Dunkel wurde für O’Malley zu einer Hand, die ihn schützte und so lange streichelte, bis er inneren Frieden fand. Der Duft, der durch die Gasse waberte und ihn einhüllte, war der einzigartige Geruch der Erde selbst. Er erfasste sogar die leisen Klänge ihrer wunderbaren Reise durch die Sternenwelt. Die Gewissheit einer grenzenlosen Existenz brannte sich mit ungeheurer Kraft in seine Seele ...

Doch als er sein Zimmer betrat, ein winziger Verschlag, der weder Licht noch Luft hereinließ, war er erneut mit diesem krassen Gegensatz zum einfachen Leben in der Natur konfrontiert, der, zumindest für ihn, das Monster war, das ständig an der Schwelle lauerte.

Als O’Malley mit diesem Monster zusammenprallte, nahm es ihm sozusagen die Luft zum Atmen, und er hätte am liebsten laut geschrien. Das Wort, das Stahl ihm vom Deck des Dampfers aus so spöttisch an den Kopf geworfen hatte – ausgerechnet Stahl, der ihn verstand, auch wenn er O’Malley ständig warnte und sich über ihn lustig machte und selbst ein Zauderer war –, packte ihn bei der Kehle: Zivilisation.

Auf seinem Tisch lag zufällig eine Ausgabe eines Londoner Groschenblatts, das die Öffentlichkeit ständig mit den widerlichsten Einzelheiten der banalsten Dinge fütterte und sie bei Stoffmangel notfalls auch selbst erfand. Der armenische Hotelbesitzer hatte die Zeitung offenbar ihm zuliebe irgendwo aufgetrieben. O’Malley überflog sie nur – verärgert und mit innerer Distanz. Die Lektüre machte ihn traurig und zugleich wurde ihm dabei geradezu übel. Doch irgendwie sprach sie auch seinen Sinn für Humor an. Nach und nach kehrte er in seinen normalen, nicht erweiterten Bewusstseinszustand zurück. Doch nicht der Gegensatz zu allem, was ihm wichtig war, brachte ihn zum Lächeln. Vielmehr war es das zufällige Nebeneinander einander widersprechender Inhalte. Denn auf der Seite mit Meldungen über Eisenbahnunglücke, lebendig verbrannte Menschen, Explosionen, Massenstreiks, abgestürzte Piloten und zahllose andere schreckliche Dinge, die dank moderner



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